Naturschutz zum Mitmachen: Christian Lieberum (l.) koordiniert am GEOMAR das Citizen Science Projekt zur Renaturierung von Seegraswiesen in der Ostsee.

Foto: Sarah Uphoff, GEOMAR 

Sortieren, zählen, bündeln: Die aus einer gesunden Spenderwiese gewonnenen Seegras-Sprossen werden für das Anpflanzen vorbereitet.

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Mit Netzbeutel und Neopren: Christin Otto (r.), Kampagnenleiterin bei Sea Shepherd Deutschland stattet einen Freiwilligen mit Seegrassprossen aus. 

Foto: Sarah Uphoff, GEOMAR

Start in die Unterwasser-Pflanzsaison

Erstmals renaturieren NGOs großflächig Seegraswiesen in der Ostsee

03.06.2025/Kiel/Wackerballig. In Schleswig-Holstein hat die Pflanzsaison für ganz besondere Unterwassergärtner begonnen: Freiwillige Taucher:innen von fünf Nichtregierungsorganisationen bepflanzen in diesem Sommer erstmals wissenschaftlich ausgewählte Flächen, um Seegraswiesen in der Ostsee zu renaturieren. Die Schulungen organisiert Sea Shepherd Deutschland in Zusammenarbeit mit dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, das die Wiederanpflanzungen wissenschaftlich begleitet.

Elf Taucher:innen in schwarzen Taucheranzügen machen sich an diesem Frühsommermorgen am Strand von Wackerballig in der Geltinger Bucht bereit für ihren Einsatz als Unterwassergärtner. In leuchtend blauen Netzbeuteln steckt das Pflanzmaterial: Seegrassprossen, entnommen aus einer nahe gelegenen gesunden Spenderwiese. Diese sollen hier, wenige Meter vom Strand entfernt, zu einer neuen Seegraswiese zusammenwachsen. Langsam waten die Taucher:innen ins Wasser, wo ein Schlauchboot sie dann zur Pflanzfläche zieht. Dort angekommen, tauchen sie ab. Am Meeresboden wird nun Spross für Spross in das weiche Sediment gesetzt, immer acht Sprossen auf einen Quadratmeter.

Mit Netzbeutel und Neopren: Unterwassergärtnern für Natur- und Klimaschutz

Einzelspross-Transplantation heißt die Methode, und es ist die derzeit effektivste Technik zur Wiederansiedlung von Seegras. Dafür braucht es viele Hände. In diesem Sommer übernehmen erstmals fünf Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mit zahlreichen freiwilligen Taucher:innen in größerem Stil die Renaturierung.

„Die Pilotphase ist vorbei – jetzt gehen wir in die Fläche“, sagt Prof. Dr. Thorsten Reusch, Leiter des Forschungsbereichs Marine Ökologie am GEOMAR. „Dass die NGOs mithilfe der geschulten Taucherinnen und Taucher nun eigenständig Seegraswiesen renaturieren, ist eine gute Nachricht für die biologische Vielfalt im Küstenbereich der Ostsee und für den natürlichen Klimaschutz.“

Seegras – die unterschätzte natürliche CO-Senke

Denn Seegras ist ein wahres Multitalent unter Wasser. Es bietet wichtige Lebensräume für Fische und andere Lebewesen, stabilisiert das Sediment, beruhigt Wellen und filtert Krankheitserreger aus dem Wasser. Vor allem aber bindet es sehr effektiv und langfristig Kohlenstoff. Damit zählen Seegraswiesen zu den bedeutendsten natürlichen CO₂-Senken unserer Küstengewässer.

Genau hier setzt das vom Bundesumweltministerium geförderte Projekt ZOBLUC an, das in diesem Jahr unter Leitung des GEOMAR gestartet ist. ZOBLUC steht für „Zostera marina als Blue Carbon-Kohlenstoffspeicher in der Ostsee“ und vereint Forschung, Schutz und Wiederherstellung von Seegraswiesen. Im Mittelpunkt steht die Frage, in welchem Umfang diese Ökosysteme als natürliche Kohlenstoffspeicher wirken – und wie sie gezielt gestärkt werden können. Das Projekt ist Teil des Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz (ANK) und wird mit rund sechs Millionen Euro vom Bund und vom Land Schleswig-Holstein gefördert.

„Seegraswiesen sind wie unterseeische Moore“, erklärt Reusch. „Sie speichern Kohlenstoff über Jahrhunderte im sauerstoffarmen Sediment – das macht sie zu einer unterschätzten, aber wirksamen Waffe im Kampf gegen den Klimawandel.“

Doch Seegraswiesen sind bedroht. Zu hohe Nährstoffeinträge und daraus resultierendes übermäßiges Algenwachstum, mechanische Störungen, etwa durch Anker sowie steigende Wassertemperaturen haben in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass Seegras vielerorts verschwunden ist. Allerdings haben sich an einigen Küstenabschnitten die Bedingungen nach GEOMAR-Daten wieder verbessert. „Um der langsamen natürlichen Kolonisierung eine Starthilfe zu geben, ist eine Renaturierung von Seegras an sorgfältig ausgewählten Flächen sinnvoll“.

Citizen Science für den Meeresschutz

Die Einbindung von Bürger:innen in die Renaturierung im Rahmen des Citizen-Science-Ansatzes ist ein zentrales Element von ZOBLUC. Die dafür notwendigen Schulungsformate wurden über mehrere Jahre hinweg entwickelt und schrittweise ausgebaut: 2023 haben GEOMAR-Forschende einen achtteiligen Pilotkurs erarbeitet und in Kooperation mit Sea Shepherd für eine kleine Gruppe erfahrener „Citizen Divers“ angeboten. Im Folgejahr 2024 wurden die Schulungen auf Tauchlehrer:innen und Leiter:innen von Tauchclubs ausgeweitet.

2025 markiert nun den Übergang in die Fläche: Geschult werden die Mitglieder von fünf NGOs – Sea Shepherd Deutschland, Mission Förde, Lake Divers (Just1Ocean), Seagrass Conservation e.V. (SeaGCon, in Gründung) und Greenpeace. Sie betreuen dann neun wissenschaftlich ausgewählte Flächen in der Ostsee, von Holnis bis Fehmarn, auf denen das Seegras entweder vollständig verschwunden oder nur noch in kleinen Resten vorhanden ist. Durch die gezielten Anpflanzungen sollen diese Lücken wieder gefüllt und langfristig vernetzt werden. Die geeigneten Renaturierungs-Flächen und Spenderweisen werden vom GEOMAR ausgewählt und in enger Absprache mit dem schleswig-holsteinischen Umweltministerium (MEKUN) genehmigt. Wissenschaftlich begleitet werden die Maßnahmen unter anderem durch ein Monitoring-Programm, das Umweltbedingungen und Pflanzerfolge dokumentiert.

Neun Flächen, fünf NGOs, ein gemeinsames Ziel

Für Christin Otto von Sea Shepherd, die die Schulungen koordiniert, ist dieser Einsatz ein zentrales Anliegen: „Wir setzen damit unseren langjährigen Einsatz für den Schutz der Ostsee konsequent fort – mit direktem, wirkungsvollem Meeresschutz. Dank der Kooperation mit dem GEOMAR ist es uns möglich, unsere Schutzbemühungen weiter auszubauen und einen nachhaltigen Beitrag zum Erhalt von wichtigen Lebensräumen zu leisten.“

„Wir bieten hier Naturschutz zum Mitmachen“, sagt der Biologe und Forschungstaucher Christian Lieberum. Er ist hauptamtlicher Koordinator des Citizen-Science-Programms. „Die Resonanz ist riesig“, sagt er. Bei weitem nicht allen Interessierten konnte eine Schulung angeboten werden. „Aber wir fangen ja gerade erst an. Diese Erfolgsgeschichte wird hoffentlich noch lange weitergeschrieben.“

Ein Mann mit blauer Strickmütze hockt am Strand hinter einer Kühlbox mit blauem Deckel und hält einen Seegras-Spross hoch.

Naturschutz zum Mitmachen: Christian Lieberum (l.) koordiniert am GEOMAR das Citizen Science Projekt zur Renaturierung von Seegraswiesen in der Ostsee.

Foto: Sarah Uphoff, GEOMAR 

Eine Hand hält ein Bündel Seegras-Sprossen

Sortieren, zählen, bündeln: Die aus einer gesunden Spenderwiese gewonnenen Seegras-Sprossen werden für das Anpflanzen vorbereitet.

Foto: Sarah Uphoff, GEOMAR

Eine junge Frau in schwarzem T-Shirt legt am Strand einem Taucher Seegrassprossen in den blauen Netzbeutel

Mit Netzbeutel und Neopren: Christin Otto (r.), Kampagnenleiterin bei Sea Shepherd Deutschland stattet einen Freiwilligen mit Seegrassprossen aus. 

Foto: Sarah Uphoff, GEOMAR